„Kinder sind doch etwas Herrliches“
1961 sicherte sich Ute Kahlenberg-Starke als erste deutsche Turnerin einen Europameistertitel. Ihr unvergessener Sieg am Pferdsprung machte die Ausnahme-Athletin populär und zur Sportlerin des Jahres in der DDR. Beim Turn- und Gymnastikclub Leipzig, dem ehemaligen SC Leipzig, in dem sie zur Weltklasse-Turnerin reifte, engagiert sich die 75-Jährige noch immer. Und hilft Turn-Zwergen – ehrenamtlich – bei ihren ersten Schritten ins Sportlerleben.
Am meisten, so sagt sie, machten ihr die Kinder selbst Freude: „Die, die kommen, die wollen was lernen, die wollen bewegt werden. Zwar manchmal nur so, wie sie wollen und nicht wie ich will, aber Kinder sind was Herrliches. Wenn sie dich angucken mit ihren kleinen Scheinwerferaugen, da ist aller Ärger vergessen“, schwärmt sie von den Trainingseinheiten, die sie mit den Drei- bis Sechsjährigen absolviert. Durchgehen lässt die Trainerin aber längst nicht alles. „Das müssen wir nochmal machen, das hat mir nicht gefallen“ fordert Ute Kahlenberg-Starke, als ihre Truppe die Beine mit krummen Knien in die Höhe spreizt. Die Seniorin zeigt wie’s aussehen soll – mit einer Leichtigkeit, als hätte sie den eigenen Turnanzug erst gestern an den Nagel gehängt.
Die vielen Namen ihrer bis zu fünfzehn Kinder großen Gruppe kann sie natürlich alle auswendig, lässt Alexa, Pauline, Julia und Co. über den Balken balancieren, die ersten Klimmzüge machen und die Kletterstange erklimmen. Nicht jede Übung, die ihre Trainerin von ihnen verlangt, meistern die Zwerge sofort. Doch wenn die Laune im Keller ist, kann Ute Kahlenberg-Starke ihre Truppe mit dem Spiele-Klassiker „Feuer, Wasser, Sturm“ wieder ganz schnell auf Betriebstemperatur holen.
Die Freude an der Bewegung, ein bisschen Beweglichkeit, Geschicklichkeit und ein paar Kraftübungen sind die wichtigsten Grundlagen, die die Alt-Meisterin den Kindern auf dem Weg in eine mögliche Turn-Karriere mitgeben will. Und immer wieder Rollen – vorwärts, rückwärts, seitwärts. Die lieben die Kinder damals wie heute. „Das kindliche Rumstromern haben viele verlernt“, bedauert Ute-Kahlenberg-Starke.“ Weil die jüngste Generation vor dem Fernseher oder Computer aufwächst und es gar nicht mehr gewöhnt ist, auf Bäume oder über Geräte zu klettern, muss ich oft bei den einfachsten Dingen anfangen.“
Viel schwerer sei es jedoch, kleine Kinder heutzutage überhaupt für das Turnen zu gewinnen.“Viele sollen Singen, Reiten, Instrumente lernen und sind oft schon in jungen Jahren mit dem Flieger quer durch die ganze Welt unterwegs. Das Freizeitangebot ist so üppig, dass es schwer fällt, die richtigen Talente vom Turnen zu begeistern – schließlich gibt es so viel mehr, das man ausprobieren kann.“
Aber wie schafft sie es, die Geduld nicht zu verlieren – bei Kindern, die in dieser reizüberfluteten Welt schwer zu bändigen sind? „Das Geheimrezept liegt darin, auf die Kinder einzugehen, sie auch mal vorbeigehen zu lassen, wenn sie nicht wollen, um sie im richtigen Moment wiederzuholen. Geduldig war ich eigentlich schon immer.“
Motivieren würden sich die Kinder indes oft untereinander. Besser zu sein als der Nachbar, als erster über die Linie zu rennen – auch das sind die kleinen Erfolge des Trainings, die die Mini-Sportler bei der Stange halten. Oft begleitet Ute Kahlenberg-Starke ihre Schützlinge nur so lange, bis sie gerade so mit der Nasenspitze über den Tisch gucken können. Dann gibt sie sie in die nächst ältere Trainingsgruppe ab. Das tue anfangs zwar ein bisschen weh, „aber es kommen immer wieder neue Talente. Also habe gar nicht so viel Zeit darüber traurig zu sein, denn die nächsten stehen schon in den Startlöchern.“
Auf die eigene Karriere blickt Ute Kahlenberg-Starke zufrieden zurück: „Ich habe gern und lange geturnt und ich turne im Alter, gedanklich, immer noch. Einmal Turnerin immer Turnerin. Die Disziplin und der Ehrgeiz, das bleibt. Man lässt sich nicht gehen, auch wenn es mit 75 Jahren mal nicht so läuft. Ich würde alles wieder so machen.“
So lange es ihr gesundheitlich möglich ist, will sie die Kinder weiterhin trainieren und ihrem Verein, in dem sie seit 62 Jahren Mitglied ist, ein Stück von dem zurückgeben, was ihr selbst gegeben wurde. Zwar gebe es auch mal Tage, an denen sich die Lust auf das Training in Grenzen halte. „Aber wenn dann die Zwerge angerannt kommen und dich anstrahlen, ist alles vorbei. Dann bist du eben wieder Trainer.“
Fotos: Dirk Birnbaum